Abseits liegt dieser WortOrt mitten im Schäringer Feld am Rande von Vorhelm – dort, wo die Tiefebene des Münsterlandes endet und sich in der Ferne die kalkhaltigen Beckumer Berge abzeichnen. Augustin Wibbelt erinnert sich: Mein Jugendparadies liegt in einer Ecke des Münsterlandes, recht im Herzen von Westfalen. Schon rückt von einer Seite die Industrie nahe heran mit ihren rauchenden Schloten, mit ihrem Lärm und Staub, aber noch ziehen die hohen Wälder eine schützende Wehr. Nach der anderen Seite hin ist es nicht weit bis zu den Heidestrichen mit ihren Einsamkeiten, ihren ernsten Föhrenbüschen und magern Äckern. Bei uns trägt ein schwerer fruchtbarer Boden Laubholz und goldigen Weizen, ein buntes Durcheinander von Wald, Feld und Wiese. Die Gegend ist eben, aber nicht flach und platt wie ein Tisch, sondern leicht auf- und niederschwellend, so dass hie und da ein weiter Ausblick vergönnt wird, über einen grünen Wiesengrund hinweg, den gelben Feldhang hinauf, bis zu fernen blauen Wäldern. (…) In diese stille Gegend passen die einsamen Gehöfte mit ihren mächtigen roten Dächern gut hinein, und was von dort herüberklingt, das Hundegebell, das Gackern der Hühner und das Schnattern der Enten, auch wohl ein schriller Hahnenschrei und eine hellgepfiffene Melodie, diese Bauernmusik stört den Frieden des stillen Landes ebenso wenig, wie das tausendstimmige Gezwitscher der Vögel. Und das Dorf? Nun ja, das schaut mit seinem Kirchturm recht stattlich herüber. Im Dorfe geht man zur Schule und feiert man den Sonntag, im Übrigen aber ist das Dorf dem Bauernbuben aus dem Kirchspiel eine halbfremde Welt. Mit seinen geschlossenen Häuserreihen, wo einer dem anderen in Türe und Fenster schaut, hat es schon einen leisen feindseligen Hauch vom Stadtleben. (1915) Auf dem Bauernhof Wibbelt verbrachten die Geschwister August und Elisabeth Kindheit und Jugend. Auch heute noch wird der Hof, der bereits im 14. Jahrhundert im Freckenhorster Heberegister verzeichnet ist, von der Familie bewohnt.
Nach seiner Pensionierung kehrte der Pastor und Dichter Dr. Augustin Wibbelt 1935 von Mehr am Niederrhein hierhin zurück und verbrachte seinen Lebensabend in dem dem Garten zugewandten Seitenflügel des alten Bauernhauses:
„’t was mi von Guott vergunnt, dat ick de wiede Welt besöken droff;
doch ümmer, ümmer honk mi an, dat kleine Duorp un uese Hoff.“
Augustin Wibbelt
Elisabeth hingegen, die ihrem Bruder an den Niederrhein gefolgt war und im Nachbarort als Haushälterin arbeitete, kam nicht auf den Hof zurück.
Der Bruder ließ August am Rande des Gartens eine Kapelle für die tägliche Feier der hl. Messe errichten. In dieser Kapelle befindet sich seit 1950 das Grab des Dichters. Wer sich an diesen Ort begibt, wird von der Stille einer vergangenen Zeit eingenommen und findet mächtige alte Bäume wie Ginko, Platane, Linde, Magnolie und Katalpa – lebendige Zeugen, die August in seinen Lebenserinnerungen „Im Versunkenen Garten“ heraufbeschwört: Vor kurzem, an einem Donnerstag, es war der 14. November 1940, brach der Sturm die schöne alte Linde in unserem Garten, die ein Stück meiner Jugend verkörpert (…) Ich sah, wie der gewaltige Baum sich langsam auf die Seite neigte und dann mit schwerer Wucht niederschlug, indem er im Fallen mehrere Äste der nahen, gleich alten Platane zerbrach (…). Hier konnte ich es wie in einem Symbol mit Händen greifen, dass die Welt meiner Jugend versinkt, unaufhaltsam und unwiederbringlich, und es erwachte in mir das starke Verlangen, diesen versunkenen Garten aus meiner treuen Erinnerung wieder herauszuholen, soweit schwache Worte es vermögen.
Wie man sieht, hat die alte Linde den Sturm überlebt. Garten, Hof und die umgebende Natur waren für Augustin und Elisabeth stets WortOrte, Quellen der Inspiration. Dort entstanden die ersten lyrischen Versuche der Wibbelt-Geschwister. Augustin Wibbelt wurde später der populärste Dichter niederdeutscher Sprache, während die hochdeutschen Gedichte seiner Schwester Elisabeth nur einem kleinen internen Kreis bekannt blieben.