„Bürger der Stadt, nicht mehr im Ghetto,
ganz am Rande der Stadt.
Schichtwechsel. “

Herbert Berger

Herbert Berger

* 12. März 1919 in Freiburg, Schlesien
† 23. April 1992 in Warendorf-Hoetmar

In seinem Geburtsort Freiburg (Schlesien), wo seine Eltern in der örtlichen Spinnindustrie arbeiteten, macht Herbert Berger eine Lehre als Eisenwarenhändler. Nach Arbeitsdienst und Arbeit in einer sächsischen Werkzeugfabrik erlebt er den zweiten Weltkrieg an mehreren Fronten. Dieses macht ihn zu einem konsequenten Kriegsgegner. 1951 beginnt er als Neubergmann Untertage auf dem Bergwerk Westfalen in Ahlen.
„Schon in der ersten Stunde, da dachte ich: „Mensch, hier haust du bald ab“, so erschreckte mich dieser Saupütt. Da bist du ganz unten, nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit der sogenannten Seele. (…)„Latschen tun wir nicht, wir fahren mit dem Personenzug“, sagte mir mein Betreuer und schob seinen Priem hinter die Zähne. Springt er doch in so einen leeren Kohlenwagen und ruft, ich solle nachkommen. So einfach ist das nicht, das erfordert Training. Ich balancierte meine Körper mühsam über die Wagenkante, Lampe, Kaffeepulle und das andere Gedönse erwürgten mich fast. Habe ich mich gewundert, dass sich die Kerle herumliegende Bretter schnappten, so begriff ich es in diesem dreckigen fahrenden Eisenkasten. „Mensch,ohne Brett kriegst du einen kalten Arsch“, meinte mein Wilder und schrie laut dem einen Kumpel zu, er solle ein Brett reinschmeißen und der schmiss auch tatsächlich. Da hockte ich nun, und bald rappelte und holperte der Zug los. Gott aller Menschen, ich dachte, nun kommt das Ende, denn diese Schreckensfahrt ließ mich die Därme förmlich spüren. Acht Mann eng beieinander in so einem Blechsarg, die Beine angezogen, es riecht nach Mensch. (…) Über mir sauste dieser schwarze mit Holz und Eisen gehaltene Steinhimmel vorüber, und neben mir hockten meine Kumpel. Haben die Nerven, die unterhalten sich oft auch noch, wehe, wenn da einer seine Lampe nicht abdeckt, der ist auch gleich „ein blöder Hund“. In so einem Bleichkasten kann man auf merkwürdige Gedanken kommen, wie zum Beispiel darüber nachzudenken, ob man noch ein Mensch ist. Der Kasten springt und rappelt wie verrückt, einem Laien könnte man die Sache nur so ungefähr erklären und verständlich machen, dass er mit Lampe, Butterkasten und einigen anderen Sachen in einen großen Kohlenkasten gezwängt wird, den ein Gaul über Kopfsteinpflaster zerrt. Ab und zu stehen da Leute, die werfen Kohlenstücke in den Kasten und schlagen von außen mit Knüppeln gegen die Wände. Dann finden in dieser Blechhölle noch Unterhaltungen statt, hochinteressante Kultur-, Politikoder Sportprobleme. Dass die da bloß die Tauben im Kopf haben, ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe.“

Der Pütt hält ihn fast 25 Jahre fest. Im Ruhestand verlässt er Ahlen und zieht nach Warendorf-Hoetmar. Herbert Berger gilt als Arbeiterdichter, seine Sprache ist einfach und direkt. In vielen Veröffentlichungen beschreibt er das Leben der Bergleute und ihrer Familien: Wer sollte denn über die Zustände vor Ort schreiben, wenn nicht wir selber? Wir müssen uns das Wort nehmen, damit nach draußen kommt, was uns bedrückt, was uns vorenthalten wird, was uns mutig macht und selbstbewusst. Er schafft gelegentlich Gedichte, vorrangig Kurzprosa, Kurzgeschichten und Hörspiele – Erinnerungsprosa. Unterstützt wird er von seiner Frau Martha, eine zuverlässige Sekretärin, die erledigt so ziemlich alles. Ich nenne sie seit über 25 Jahren Martha und sie schmeißt den ganzen Laden.
Für sein Werk ist er mehrfach ausgezeichnet worden.

 

Foto: privat

Der Pütt

Ganz am Rande
der Stadt
liegt er,
unser Pütt.
Am Tage qualmender Riese,
nachts mit Lichterkette,
ruhelos.
Verstreut in der Stadt,
Bergleute,
Bürger der Stadt,
nicht mehr im Ghetto,
ganz am Rande der Stadt.
Schichtwechsel.
Unten sind immer welche,
auch wenn die Stadt schläft.
Pütt, Stadt,
Bürger, Bergleute. Glückauf!

Herbert Berger
Hundert Jahre Bergarbeiterdichtung

Literatur-Tipps:

Berger, Herbert, Ich und meine Stadt, Ahlen 1975

Berger, Herbert, Der Pütt hat mich ausgespuckt, 1981

Berger, Herbert und Martha, Drei Minuten täglich, 1983

Gödden, Walter: Vollgestopft mit Erinnerungen. Herbert Bergers Versuche, sich Heimat zu erschreiben. In: Volker Zaib (Hrsg.), Fritz-Hüser-Gesellschaft (Hrsg.): Kultur als Fenster zu einem besseren Leben und Arbeiten (= Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen 9). Bielefeld 2003, S. 277–300.