„O komm, o komm, ich harre dein,
So hör ich’s wie vor alten Zeiten.
Und ihre grünen Arme breiten
Die Bäume weit im Frühlingsschein.“

Elisabeth Wibbelt

Elisabeth Wibbelt

* 24. Januar 1856 in Vorhelm
† 26. Mai 1911 in Mehr am Niederrhein

Als Anna Wibbelt am 24. Januar 1856 ihre erste Tochter auf dem abgelegenen Hof im Schäringer Feld zur Welt bringt, taufen die Eltern sie Anna Elisabeth, ihre sechs Geschwister rufen sie später Else, Liesken, Liwätt; sie selbst wählt für sich kein geringeres Vorbild als die bedeutendste Lyrikerin des Altertums und unterzeichnet ihre Briefe mit Sappho. Doch eine solche Förderung, wie diese sie in der Frauengesellschaft auf Lesbos erfuhr, erhält eine Bauerntochter im Münsterland nicht ohne Weiteres.

Die goldene Freiheit, die Elisabeth zum Schulende wähnt, entpuppt sich schnell als pflichtenreicher, harter Arbeitsalltag. Sie wird zweite Magd auf dem elterlichen Hof. Mit 18 erlaubt ihr der Vater eine einjährige Ausbildung an der Unterrichts- und Erziehungsanstalt für Töchter im Ursulinenkloster auf dem Kalvarienberg bei Ahrweiler. Trotz inständiger Bitten der Ursulinen schlägt der Vater ein weiteres Studium aus, Elisabeth kehrt zunächst auf den elterlichen Hof zurück, wird dann „Pastors Haushälterin“, führt über kurze Zeit ihrem Bruder August, der inzwischen Kaplan in Moers ist, den Haushalt, ab 1893 den des Kaplans Anton Möllers, dem Familienfreund, geht mit ihm nach Bockum (Hamm), dann nach Haus Assen (Lippborg), zuletzt in das Pastorat nach Zyfflich (Niederrhein) direkt neben Mehr, wo ihr Bruder inzwischen eine Pfarrei hat. Dort stirbt sie am 26. Mai 1911 im Alter von 55 Jahren an einer Entzündung der Nebennieren.

Von Jugend an ist sie, die ältere, ihrem später prominenten Bruder Augustin Muse und schöpferisches Vorbild. Nur wenige von Elisabeths Gedichten wurden bislang veröffentlicht, vorrangig als „Nebenprodukte“ im Werk des bekannten Bruders. Es sind schwärmerische Natur- und Liebeslyrik, stimmungsvolle, oft einfache Bilder, die die Sehnsucht nach Heimat, Nähe, Geborgenheit und Erfüllung beschwören, später kommen zahlreiche geistliche Lieder hinzu.

Einsam durch die öde Heide

Einsam durch die öde Heide
Ziehn im grauen Nebelkleide
Fahle Schemen, Dunstgestalten,
Aus den weiten Mantelfalten
Schüttele sie die üble Laune
Gastgeschenkt der bösen Geister;
Doch sie finden ihre Meister
Eilen schnell und flugs von dannen
In der Waldschlucht finstern Tannen.
Und mit leisem milden Walten
Wandeln holde Luftgestalten
Auf der weiten stillen Heide.

Nun steigt’s herauf wie Waldesduft

Nun steigt’s herauf wie Waldesduft,
Wie Hauch aus längst vergangenen Tagen,
Ich hör die Amsel wieder schlagen,
Und tief im Wald der Kuckuck ruft.

O komm, o komm, ich harre dein,
So hör ich’s wie vor alten Zeiten.
Und ihre grünen Arme breiten
Die Bäume weit im Frühlingsschein.

Und Quellenrauschen, Windesweh’n
Sie klingen mir im Herzen wieder,
Und all die halbvergessenen Lieder
So klar in meiner Seele steh’n.

Was kommst du doch, du lieber Wald
Und weckst in mir das alte Träumen
Und ziehst zu deinen grünen Räumen,
Zur Heimat mich mit Allgewalt.

Elisabeth Wibbelt

Literatur-Tipps:

Pilkmann-Pohl, Reinhard. (Bearb.):
Augustin Wibbelt, Das Plauderbüchlein –
Elisabeth Wibbelt, Erinnerungen,
hg. vom Kreis Warendorf. Rheda-Wiedenbrück 1991.

Ders. (Bearb.): Nachlass Augustin Wibbelt,
hg. v. Kreis Warendorf, Warendorf 1991.

Ders.: Die Romantisierung einer Jugend,
hg. v. Kreis Warendorf, Warendorf 1994

Schepper, Rainer (Hg.), Augustin Wibbelt –
Liebes Schwesterchen, Briefe an Elisabeth Wibbelt 1875-1886, Coesfeld 2015.